In Auschwitz ermordet – das kurze Leben der Ruth ten Brink

Familienfoto: Ruth, Hermann, Sophie und Werner ten Brink vor dem Haus in Goor 1939. Foto: Lehmannstiftung

Barsinghausen (wk). Die Siegfried Lehmann-Stiftung lädt anlässlich des Holocaust-Gedenktags am Dienstag, 26. Januar, 19 Uhr, zu einer öffentlichen Veranstaltung in den Gemeindesaal der Marien-Kirchengemeinde in der Kirchstraße ein. Dieter Przygode aus Bramsche referiert über Ruth ten Brink, ein junges Mädchen aus Bramsche, geboren 1916. Dessen Mutter Sophie (Jahrgang 1887) war eine jüngere Schwester von Siegfried Lehmann und wuchs mit ihm zusammen in Barsinghausen auf.

Ruth ten Brink war Krankenschwester, emigrierte im April 1939 in die Niederlande und wurde 1943 zusammen mit den von ihr Betreuten nach Auschwitz deportiert. Hier wurde sie am 5. Februar 1943 ermordet. Da sie häufig in Barsinghausen war, ist für sie am früheren Grundstück Bahnhofstr. 19 ein Stolperstein verlegt worden. Der Referent erforscht seit vielen Jahren die Geschichte jüdischer Familien in Bramsche. Unter der Überschrift „In Auschwitz ermordet – das kurze Leben der Ruth ten Brink“ wird er den Lebensweg von Ruth ten Brink und den ihrer Eltern, besonders während ihrer Verfolgung, in einem bebilderten Vortrag beschreiben.

In Gedenken an die Pogromnacht hat Dieter Przygode am 9. November 2013 in den Bramscher Nachrichten einen interessanten Artikel über Ruth ten Brink veröffentlicht. Der Autor und die Kolleginnen und Kollegen der Neuen Osnabrücker Zeitung haben dem Deister Journal die Genehmigung zum Nachdruck erteilt – dafür herzlichen Dank. Den Artikel findet man auch unter diesem Link

 

Familienfoto: Ruth, Hermann, Sophie und Werner ten Brink vor dem Haus in Goor 1939. Foto: Lehmannstiftung
Familienfoto: Ruth, Hermann, Sophie und Werner ten Brink vor dem Haus in Goor 1939. Foto: Lehmannstiftung

Gedenken an Pogromnacht

Frühzeitige Flucht rettete Bramscher Jüdin nicht

Von Dieter Przygode

Bramsche. In der Reichspogromnacht vor 75 Jahren blieb in Bramsche alles ruhig, weil in der Hasestadt keine Juden mehr lebten. Der Hobbyhistoriker Dieter Przygode zeichnet das Leben der letzten jüdischen Familie nach, die Bramsche schon vor der Machtergreifung der Nazis verlassen hat, 1935 in die Niederlande floh und im Krieg doch Opfer des Terrors wurde.

„Ich sah immer wieder das Bild meiner Familie an der Wand des Zimmers, und die Augen fragten mich, was machst du in diesem Land?“ Max ten Brink fand in Deutschland keinen Schlaf. Nach diesem Erlebnis in einem Hotelzimmer in Düsseldorf habe der Niederländer nur Tagesausflüge nach Deutschland gemacht, um dort nicht übernachten zu müssen, berichtet er in einem dieser Tage geführten, längeren Telefonat in bestem Deutsch. „Deutsch habe ich in der Schule gelernt“, erzählt er weiter, „obwohl mein Vater und meine Großeltern Deutsche waren.“

Im November vor 75 Jahren, als in Deutschland die Menschen zusahen, wie Nazi-Formationen die Synagogen in Brand setzten, wie jüdische Geschäfte zerstört und geplündert wurden, wie Juden geschlagen, verhaftet und ermordet wurden, wähnte sich die Familie ten Brink im niederländischen Goor, etwa 25 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, in Sicherheit. Die ten Brinks waren Juden. Hermann ten Brink war im holländischen Denekamp geboren, aber mit 14 Jahren nach Deutschland gegangen. 1914 heiratete er, 26-jährig, in Bramsche die aus Barsinghausen stammende Sophie Lehmann. Hermann ten Brink arbeitete als Viehhändler, die Familie wohnte in der Großen Straße im Haus Tackenberg. 1916 wurde in Bramsche Tochter Ruth geboren , drei Jahre später der Sohn Werner. 1926 zog die Familie nach Osnabrück. 1934 musste Werner das Gymnasium verlassen, weil er Jude war. „Auf einer Nazi-Kundgebung mit 20000 Menschen in Osnabrück wurde plötzlich ein Nazi-Lied gesungen, und jeder streckte den rechten Arm halb hoch zum Hitlergruß, nur ich nicht“, schreibt Werner ten Brink später über sein Leben in Deutschland. Dafür habe er prompt eine Ohrfeige bekommen. „Am folgenden Tag nach der Kundgebung grüßten uns die Nachbarn nicht mehr, und wir wurden gemieden.“

Die Übergriffe gegen die Juden und ihre Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben wurden auch in Osnabrück immer schlimmer. Ruth ten Brink floh bereits im Januar 1935 in die Niederlande, sie machte im Jüdischen Psychiatrischen Krankenhaus in Apeldoorn eine Ausbildung zur Krankenschwester. Der Rest der Familie folgte im Frühjahr 1938. „Wir hatten keine Zeit, um alles zusammenzupacken und kamen ohne unsere Sachen in Goor an, ich hatte als Kleidung nur meinen neuen teuren Anzug dabei“, schreibt Werner ten Brink.

Im Mai 1940 war es nicht nur für die ten Brinks mit der vermeintlichen Sicherheit in Goor vorbei. Nach dem Überfall auf die Niederlande dauerte es nicht lange, bis die Deutschen auch hier immer stärker gegen Juden vorgingen. Fahrräder abgeben oder der Ausschluss von Badeanstalten, Kino, Theater oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen waren noch das geringste Übel. „Juden durften nur zwischen 15 und 17 Uhr ihre Einkäufe erledigen und sich nach 20 Uhr nicht einmal mehr im eigenen Garten aufhalten“, schreibt Werner ten Brink in seinen Erinnerungen.

Im Juli 1942 begann die deutsche Besatzungsmacht damit, Juden nach Osteuropa zu deportieren. Viele versuchten unterzutauchen, um der Deportation zu entgehen.

Ruth ten Brink besorgte ihren Eltern Hermann und Sophie ein Versteck in Apeldoorn, wo sie den Krieg überlebten. Ruth selbst weigerte sich unterzutauchen, um ihre Patienten im Krankenhaus nicht im Stich zu lassen. Ihr Bruder Werner heiratete am 4. August 1942 Roza van Zuiden, eine Kollegin von Ruth. Bereits wenige Wochen später, am 20. August, musste er jedoch Hals über Kopf untertauchen. Er fand Unterschlupf in einem leer stehenden und für unbewohnbar erklärten Haus in Goor. „Mein einziger Kamerad war ein Pferd“, berichtet er später. Als er schwer erkrankt sei, habe ihn ein mutiger Arzt unter großer Gefahr ins Krankenhaus nach Delden gebracht. „Wenn wir angehalten werden, darfst du nichts sagen, nur wimmern. Ich führe das Wort“, habe dieser ihm eingebläut. Da Werner in Delden wegen seiner Hausiererei gut bekannt war, musste er mit einer Wäschekammer vorlieb nehmen. Nach seiner Genesung kam er wieder zurück in sein Versteck in Goor.

Bei einer Razzia im Jüdischen Psychiatrischen Krankenhaus in Apeldoorn am 21. Januar 1943 wurden Ruth und ihre Kollegen zusammen mit 900 Patienten aufgegriffen und ins Durchgangslager nach Westerbork gebracht. Es soll Fluchtpläne von Verwandten und Freunden gegeben haben, um Ruth zu befreien. Unter dem Abfall des Kartoffelgrüns wollte man sie aus dem Lager schmuggeln. Dazu ist es allerdings nicht gekommen. Rosa ten Zuiden hatte Glück, dass sie zu dieser Zeit mit Kollegen unterwegs war und rechtzeitig untertauchen konnte.

Ruth ten Brink wurde am 2. Februar 1943 zusammen mit den anderen Inhaftierten des Krankenhauses in den Zug nach Auschwitz verfrachtet. Unterwegs gelang es ihr, eine Postkarte an ihren Verlobten Albert Jacobs aus dem Zug zu werfen. „Hab Mut gerade so wie ich“, waren ihre letzten Worte, die tatsächlich den Empfänger erreichten. Nach der Ankunft in Auschwitz am 5. Februar 1943 wurden sie und die anderen ermordet.

Hermann und Sophie ten Brink überleben den Krieg und kehren nach Goor zurück, wo Hermann einen Lumpen- und Altmetallhandel betreibt. Sophie stirbt am 17. August 1960, Hermann am 23. September 1965.

Werner und Roza ten Brink überleben den Krieg ebenfalls. Sie versuchen in Rijssen ein Geschäft aufzumachen, mit wenig Erfolg. Schließlich klappt es in Goor mit einem Möbelgeschäft. Roza ten Brink stirbt im April 1963, ihr Mann Werner im August 2003.

„Ich habe keine Ahnung, wie meine Großmutter Sophie ausgesehen hat, wenn sie gelacht hat“, erklärt Max ten Brink mit etwas leiser werdender Stimme. „Ich glaube, sie hat gar nicht gelacht.“ Über das schreckliche Geschehen jener Zeit sei in der Familie gesprochen worden, aber sein Vater habe ihm anfangs gesagt: „Wir gehen niemals wieder nach Deutschland!“ Im Laufe der Jahre habe sich das jedoch geändert, er sei öfter zu Verwandten nach Barsinghausen gefahren. Und Max ten Brink scheut sich jetzt auch nicht mehr, mehrere Tage in Deutschland zu verbringen. „Gerne würde ich die Stadt besuchen, in der mein Vater Werner und meine Tante Ruth geboren sind.“

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