Schulturmuhr: 107 Jahre ist nichts passiert, jetzt hat es zoom gemacht

Barsinghausen (eb). Klein Uwe sitzt in der Grundschule an der Nienstedter Straße, als die Turmuhr auf dem Dach zur vollen Stunde schlägt. „Klasse“, denkt er sich, „in nur 15 Minuten ist auch die lästige Mathe-Stunde geschafft“. Gestört fühlt er sich nicht, sondern gibt noch einmal Gas – quasi als Endspurt bis zur großen Pause. So war es früher. Doch heute sorgt das Schlagen der Turmuhr auf dem Dach der Ernst-Reuter-Schule (ERS) für Differenzen.

Ausgerechnet, ja ausgerechnet im Jahr des Ortsjubiläums „800 Jahre Egestorf“ wurde eine mehr als 100 Jahre alte Tradition infrage gestellt: Das stündliche Läuten der ERS-Turmuhr ist ein Ärgernis für die Einen, gesellschaftliches Leben und Brauchtumspflege für die Anderen. Ein Kompromiss wurde bereits geschafft; für alteingesessene Egestorfer jedoch so nicht einsehbar.

Frei nach „Tausend und eine Nacht“, dem Lied von Klaus Lage: 107 Jahre ist nichts passiert, dann hat es zoom gemacht! Zwei Anwohnerfamilien hatten sich über das Schlagen der Turmuhr bei der Stadtverwaltung beschwert – aus ihrer Sicht zu laut und zu oft, also regelmäßig zur vollen Stunde. Möglicherweise verständlich, wenn man an die Sommermonate und geöffnete Schlafzimmerfenster denkt. In einem Brief wurde die Störung der Nachtruhe geäußert.

Demgegenüber steht allerdings eine große Mehrheit an Bürgerinnen und Bürger, die auf die alte Tradition nicht verzichten will. Zahlreiche alteingesessene Egestorfer wandten sich an den Festausschuss und baten darum, sich für die Tradition des historischen Schlagwerkes einzusetzen. So wurde beschlossen, eine Unterschriftenaktion auf den Weg zu bringen. Start war Mitte September auf dem traditionellen Herbstmarkt; anschließend lagen die Listen noch in einigen Egestorfer Geschäften aus. 514 Bürger unterstützten mit ihrer Unterschrift den Wunsch, die Uhr weiterhin und dauerhaft schlagen zu lassen.

Unterschriftenliste: Klaus Delto, Dieter Pohl und Klaus D. Richter (von rechts) übergeben Bürgermeister Marc Lahmann (links) die Liste mit 514 Unterschriften von Egestorfer Bürgern.
Unterschriftenliste: Klaus Delto, Dieter Pohl und Klaus D. Richter (von rechts) übergeben Bürgermeister Marc Lahmann (links) die Liste mit 514 Unterschriften von Egestorfer Bürgern.

„Es geht um eine gute, alte Tradition. Wir streben eine verlässliche Lösung an“, sagte Klaus D. Richter im Barsinghäuser Rathaus. Gemeinsam mit Dieter Pohl und Klaus Delto vom Festausschuss erfolgte jetzt die Übergabe der Unterschriftenliste. Der frühere Bürgermeister überreichte die Liste an den aktuellen Bürgermeister der Stadt Barsinghausen. Die Aktion soll als Appell an Rat und Verwaltung verstanden werden.

Die Turmuhr auf dem Dach der Grundschule wurde im Jahre 1909 gemeinsam mit der Schule errichtet. Seitdem zeigt sie nicht nur die Uhrzeit an, sondern läutet auch zu jeder vollen Stunde. Der Mehrheit in Egestorf geht es um die Aufrechterhaltung der Tradition. „Wir wollen natürlich einen Kompromiss finden, mit dem alle Bürger leben können“, bekräftigte Richter. Die Schüler und das Kollegium der Ernst-Reuter-Schule fühlen sich jedenfalls nicht gestört – das hätte eine Nachfrage bei den Betroffenen ergeben. Zudem sehen etliche Anwohner in dem Durchgangsverkehr an der Nienstedter Straße die weitaus größere Lärmbelästigung.

Fünf vor Zwölf: Seit 1909 schlägt die Turmuhr auf der Grundschule zu jeder vollen Stunde.   Fotos: Bratke
Fünf vor Zwölf: Seit 1909 schlägt die Turmuhr auf der Grundschule zu jeder vollen Stunde. Fotos: Bratke

Nachdem die Beschwerde der beiden Familien in der Verwaltung eingegangen war, nahm sich der kürzlich verabschiedete Erste Stadtrat Dr. Georg Robra der Sache an und brachte folgenden Kompromiss auf den Plan: Die Uhr darf nur im Herbst und im Winter läuten, im Frühjahr und Sommer bleibt sie dagegen still. Der Festausschuss appelliert an den Rat, per „förmlichen Beschluss oder in vergleichbar verbindlicher Form festzulegen, dass die Turmuhr zum historischen Erbe Egestorfs gehört und deshalb grundsätzlich regelmäßig schlagen soll“.

Im Rathaus ließ Bürgermeister Marc Lahmann durchblicken, dass er das Anliegen der Unterzeichner sicherlich verstehen könne. „Aber es gibt nun mal auch gesellschaftliches Leben und Traditionen. Diese Traditionen sollten auch grundsätzlich bewahrt werden“, so Lahmann. Allerdings gebe es in Deutschland nun mal auch strenge gesetzliche Regelungen für Glockengeläut. Übrigens: Die ERS-Turmuhr ist getrennt schaltbar – einerseits die reine Anzeige der Uhrzeit, andererseits inklusive Schlagwerk. Was dem Einen zu viel, ist dem Anderen zu wenig – gesellschaftliches Leben halt.

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