Späte Gerechtigkeit für eine geschändete Ruhestätte

Michael Fürst lächelt. Der Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen schaut auf ein umzäuntes Areal im Deister, am Ende der Barsinghäuser Deisterstraße gelegen. Hier wurden einst jüdische Mitbürger begraben. Doch das Recht der Juden, auf ewig dort in Frieden zu ruhen, wo sie bestattet wurden, wurde schmählich geschändet. Das geschah am 10. November 1938, in der so genannten Reichskristallnacht. Örtliche Bürger in SS- und SA-Uniformen warfen die Grabsteine um und zerstörten sie. In der Folge wurden die Trümmer ebenso entfernt wie die Umzäunung des Friedhofes. Warum Michael Fürst lächelt?  Weil der Alte Jüdische Friedhof jetzt, 77 Jahre später, wieder als solcher zu erkennen ist.

Von Wolf Kasse

Ewige Ruhe: Der Alte Jüdische Friedhof am Ende der Deisterstraße ist wieder sichtbar. foto:kasse
Ewige Ruhe: Der Alte Jüdische Friedhof am Ende der Deisterstraße ist wieder sichtbar. foto:kasse

In der Deisterstadt Barsinghausen haben bereits Anno 1700 jüdische Mitbürger gelebt, das ist nachgewiesen. 100 Jahre später nutzte die jüdische Gemeinde Barsinghausen erstmals das Waldgrundstück, das sich im Besitz der Klosterforsten befand, als Friedhof. Im Jahre 1888 schloss der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds, vertreten durch die Klosterkammer, einen Vertrag mit der Synagogengemeinde Barsinghausen. Darin wurde letzterer das Recht zugestanden, die Fläche dauerhaft als Friedhof zu nutzen sowie einmalig zu erweitern, falls der Platz nicht mehr ausreichen sollte. Tatsächlich erhielt die Synagogengemeinde im Mai 1907 eine Erweiterungsfläche, aber nur zwei Jahre später wurde der 890 Quadratmeter große Friedhof auf Anordnung des Kreisarztes geschlossen. Als Begründung wurde seinerzeit „Gefährdung des Grundwassers“ angeführt. Die letzte Beisetzung erfolgte im Jahr 1912.

Friede sei auf eurem Totenlager

Im jüdischen Glauben gibt es das Ewigkeitsrecht. Das besagt nicht nur das Recht auf ungestörte Totenruhe in allen Zeiten, sondern es regelt auch, dass es keine Mehrfachbestattungen in einer Grabstelle geben dar, so wie es bei christlichen Friedhöfen nach entsprechender Frist üblich ist. „Friede sei auf eurem Totenlager“, so lautet die Übersetzung der hebräischen Inschrift auf der Sandsteinmauer, die wiedergefundene Fragmente früherer Grabsteine integriert. Neben diesem Lapidarium gibt es noch zwei erhaltene Grabsteine, die ihren Platz auf dem Waldfriedhof gefunden haben. Ein Holzzaun mit schmiedeeiserner Pforte umfasst das Areal, so dass die früheren Ausmaße wieder sichtbar werden.

Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit

Nach den handgreiflichen Folgen der Novemberpogrome 1938 ließ die Klosterkammer 1941 das Recht der Synagogengemeinde Barsinghausen, ihr Grundstück als Friedhof zu nutzen, aus dem Grundbuch löschen. 1945 schien das Schicksal des ehemaligen Waldfriedhofes endgültig besiegelt. Bürgermeister Marc Lahmann erinnerte daran, dass Anfang 1945 auf der Fläche Behelfsheime errichtet werden sollten. Im Herbst ’45 wurden die Arbeiten allerdings auf Anordnung des damaligen Landrats eingestellt. Dass der Alte Jüdische Friedhof zumindest symbolisch wieder auferstehen konnte, das ist nicht zuletzt Barsinghäuser Schülern zu verdanken. Anfang der 1980-er Jahre wurden zwei Grabsteine entdeckt, und die Schüler fanden weitere Fragmente. Seit 1982 erinnert eine Inschrift auf einem Sockel an den Alten Jüdischen Friedhof.

Der Historiker Dr. Peter Schulze erforschte die Eigentumsverhältnisse und rekonstruierte die Geschichte der Begräbnisstätte. So konnten nach und nach die Grenzen wieder sichtbar gemacht werden. In den vergangenen Jahren haben sich auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler des Hannah-Ahrendt-Gymnasiums und der KGS Gotheschule Barsinghausen mit dem alten jüdischen Friedhof befasst. Und das werden sie auch weiterhin tun, denn beide Schulen haben eine Patenschaft für die Betreuung übernommen.

Reges Interesse: Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger waren bei der Übergabe der historischen jüdischen Grabstätte dabei. foto:kasse
Reges Interesse: Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger waren bei der Übergabe der historischen jüdischen Grabstätte dabei. foto:kasse

Hans-Christian Biallas, Präsident der Klosterkammer Hannover, hat die Nutzungsrechte der Fläche offiziell an Michael Fürst als Präsidenten des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Niedersachsens übergeben. Damit hat der Landesverband das Recht, den Friedhof zu erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Neue Bestattungen sind allerdings dort nicht möglich. Vor zwei Jahren sei er mit Michael Fürst vor Ort gewesen, damals habe man noch eine Karte bemühen müssen, um die Lage des Areals zu sondieren. Jetzt sei alles exakt vermessen, so Biallas. Mit der Vertragsunterzeichnung arbeite die Klosterkammer auch „einen Teil ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus“ auf. „Es ist uns wichtig, uns unserer Verantwortung für die Vergangenheit in der NS-Zeit zu stellen“, erklärte Biallas. Fast 80 Jahre nach seiner Zerstörung sei der Alte Jüdische Friedhof nun wiederhergerichtet und in die Obhut der jüdischen Gemeinde übergeben. Für ihn sei das ein ganz besonderes Ereignis, denn es sei das erste Mal, dass er einen alten jüdischen Friedhof übergeben könne, merkte Biallas an. Dies sei aber nicht nur ein Friedhof, sondern auch ein „außerschulischer“ Lernort. Gerade die aktuelle Entwicklung in der Bundesrepublik zeige, wie wichtig die Erinnerung und die Aufarbeitung der dunklen Kapitel deutscher Geschichte seien. Es gelte, gemeinsam allen Tendenzen, die nicht in den allgemeinen demokratischen Rahmen passen, entschlossen gegenüber zu treten.

Michael Fürst freute sich, dass das Ewigkeitsrecht auf dem Alten jüdischen Friedhof in Barsinghausen wieder hergestellt sei. Die Jüdischen Gemeinden Niedersachsen betreuen mehr als 200 jüdische Friedhöfe. Er lobte die Bereitschaft der beiden Barsinghäuser Schulen zur Übernahme der Pflege-Patenschaft. „Es ist uns wichtig, dass beim Erhalt und der Pflege auch Privatpersonen eingebunden werden, das stärkt das Bewusstsein“, so Fürst.

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger nahmen teil, als die Übergabe des Areals an die jüdischen Gemeinden erfolgte. Symbolisch schloss Michael Fürst die Pforte zum Friedhof auf. Die wird künftig unverschlossen bleiben, denn das Gelände soll jederzeit allen Interessierten offen stehen. „Wir hoffen alle sehr, dass der Friedhof unversehrt bleiben wird“, sagte Hans-Christian Biallas. Die Mitarbeiter der Klosterforst werden darauf ein wachsames Auge haben.

Für Interessierte: Dr. Peter Schulze lädt am Sonntag, 15. November, um 11 und um 12 Uhr zu Kurzführungen über den Alten Jüdischen Friedhof ein.

Symbolische Öffnung: Der Alte Jüdische Freidhof ist künftig frei begehbar. foto:kasse
Symbolische Öffnung: Der Alte Jüdische Friedhof ist künftig frei begehbar. Von links Michael Fürst, Hans-Christian Biallas und Marc Lahmann. foto:kasse

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Die Klosterkammer Hannover ist eine öffentliche Einrichtung, die ehemals kirchliches Vermögen verwaltet. Darüber hinaus betreut und unterstützt die Klosterkammer fünfzehn heute noch belebte evangelische Damenklöster und -stifte in Niedersachsen. Unter dem Dach der Klosterkammer befinden sich vier öffentlich-rechtliche Stiftungen. Deren Erträge verwendet die Klosterkammer für den Erhalt zahlreicher denkmalgeschützter Gebäude und Kunstobjekte, dazu gehören unter anderem 43 Kirchen und Dome. Außerdem fördert die Klosterkammer etwa 200 kirchliche, soziale und bildungsbezogene Projekte mit rund drei Millionen Euro pro Jahr.

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