Gleis 8 und HRK – wortgewandter Deutsch-Pop-Rock

Schön, mal wieder von ihr beziehungsweise ihm zu hören. Die Rede ist einerseits von der früheren Rosenstolz-Sängerin AnNa R. , die mit ihrer Band „Gleis 8“ das neue Album „Endlich“ vorlegt sowie andererseits von Heinz Rudolf Kunze, der zu seinem Longplayer „Deutschland“ wissen lässt: „Ich suche mich mehr in Worten als in Werken.“

Von Erk Bratke

Gleis-8---CoverGleis 8 / „Endlich“ (Island/Universal Music): Ladies first, logo! Der Titel des Albums hat doppelte Bedeutung. „Endlich“ ist einerseits das Warten auf das neue Produkt. „Endlich“ ist aber auch die Erkenntnis, dass eben nichts unendlich ist – schon gar kein Menschenleben. Letzteres ist zweifellos ein Hinweis auf die stark autobiographischen Züge des Werks.

Mit dem Duo Rosenstolz (1991 bis 2012) war AnNa R. (bürgerlich Andrea Neuenhofen, geborene Rosenbaum) ganz oben. Nach der Trennung suchte die Ost-Berlinerin eine neue Herausforderung. Schon im Frühjahr 2013 startete die Band Gleis 8 als Quartett. Mit dabei waren Rosenstolz-Saxophonist Lorenz Allacher sowie die Hamburger Musiker Timo Dorsch und Manne Uhlig. Mittelprächtig fiel der Erfolg des Debüts aus, das den Titel „Bleibt das immer so“ trug. Eben nicht!

Die Aufnahmen zum aktuellen Longplayer wurden jäh unterbrochen: Lorenz Allacher und Manne Uhlig erkrankten an Krebs. Beide kämpften dagegen an. Manne schaffte es, die Krankheit zu überwinden, doch in die Freude über seine Genesung mischte sich bald die Trauer über den Tod von Lorenz. Ein Mensch, so nah, dass man ihn nicht ersetzen wollte. Also sind GLEIS 8 noch näher zusammengerückt – als Trio.

Endlich: Gleis 8 macht als Trio weiter.
Endlich: Gleis 8 macht als Trio weiter.

Musikalisch knüpfen Gleis 8 dort an, wo sie ihre Reise vor zwei Jahren begonnen haben – und eigentlich alles ein bisschen Rosenstolz. Die schöne, getragene Melancholie in den Songs mit viel Piano, Keyboards, Beats und Bläsern gibt es erneut. „Das wird auch nie anders sein“, versichert Anna, „denn es ist für uns nun mal leichter, traurige Songs als fröhliche zu machen. Man findet schönere Bilder“. Stimmt!

Da ist schon der Opener allzu charakteristisch: „Alles auf Anfang“, heißt er. Es folgen weitere elf Songs, in denen viel von endlichen Geschichten erzählt wird, aber auch Neuanfänge nicht ausgelassen werden. Getragen wird alles von AnNas Stimme – klar, kraft- und druckvoll wie eh und je mit hohem Wiedererkennungswert. Im April starten Gleis 8 eine Tour, die in Wolfsburg beginnt und in Berlin endet – Hannover ist leider nicht dabei.

 
Heinz-Rudolf-Kunze-CoverHeinz Rudolf Kunze / „Deutschland“ (RCA/Sony Music): Noch so ein Wortakrobat. „Deutschland, Deutschland, nervöses Reich der Mitte“ – so beginnt der gleichnamige Song vom rockenden Dichter und Denker. Deutschland hat in Zeiten von Terror in Europa und der dramatischen Flüchtlingskrise genug Gründe, nervös zu sein. „Doch reich ist Deutschland trotzdem sehr“ heißt es in dem Song weiter: Den sogenannten Wutbürgern treten Tausende Menschen entgegen, gegen Hass und Hetze und für ein friedvolles Neben- und Miteinander. Und zwischendrin der deutsche Rock-Poet, der 2016 nicht nur sein neues Album veröffentlicht, sondern im Herbst auch mit „Verstärkung“ auf große Deutschlandtournee geht. Station in seiner Wahlheimat Hannover ist am 12. Oktober im Capitol.

„Deutschland meine Heimat, Deutschland mein Zuhaus, ich bin ein Deutscher durch und durch, hier kenn ich mich aus“ – und das bereits seit 60 Jahren. Tatsächlich feiert Mr. Deutschrock, der im Flüchtlingslager Espelkamp geboren und in Osnabrück aufgewachsen ist, in diesem Jahr runden Geburtstag.

In seinen neuen Liedern setzt sich HRK die Brille des kritischen Beobachters auf und richtet den Blick zielstrebig auf Probleme, denen andere nur zu gerne den Rücken kehren. Man müsse sich mit Deutschland beschäftigen, um es zu verstehen – weil es ein dickes Ausrufezeichen bedeute und eine Kraft verströme, deren Resonanz durch die gesamte Republik zu spüren sein wird. Sowohl inhaltlich, vor allem aber musikalisch.

Die erste Vorabauskopplung „Jeder bete für sich allein“ bildet gewissermaßen den Auftakt zu den politischen Songs des Albums. „Ich halte es für eines der politischsten Lieder, die es momentan in deutscher Sprache gibt“, findet Kunze selbst. HRK wendet sich in dem Song gegen die zunehmende Aggressivität, mit der Religionen respektive Religionsführer heutzutage auftreten. Wenn Religion zur Privatsache würde, so seine These, gäbe es auch weniger Konflikte. Auch wenn dieses Plädoyer für die Privatisierung von Religion ein wenig utopisch klingen mag, für reichlich Diskussionsstoff und Reflexion könnte „Jeder bete für sich allein“ auf jeden Fall sorgen.

Hier das neue Lyric-Video zu „Jeder bete für sich allein“ anschauen:

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