Zum Trotz: Liebe kennt keine Liga – dazu ein preisgekrönter Film

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Ein altes Berliner Sprichwort, das sogar die Engländer von uns Germans übernommen haben (Celebrate as they fall). Die Redensart umzusetzen, dürfte in diesen Tagen besonders unseren italienischen und holländischen Fußball-Freunden schwer fallen, wenn sie in der Heimat zusehen müssen, wie ohne sie bei der WM gejubelt wird. Gleiches trifft auf die Enthusiasten der Traditionsclubs in Hamburg, Köln, Braunschweig und Kaiserslautern zu. Die blöden Witze und Kalauer über verpasste WM-Teilnahmen und Liga-Abstiege reißen einfach nicht ab…

Von Erk Bratke

Das WhatsApp-Zeitalter macht es für die betroffenen Fan-Lager besonders schlimm. Beispiel gefällig? „Hab mir gerade ein Zweitligamenü bestellt – einen Hamburger und ein Kölsch.“ Ha, ha, ha! Oder der: Ein anonymer Anrufer klingelt zum dritten Mal bei der HSV-Geschäftsstelle durch. Stets fragt er nach einer Dauerkarte für die 1. Liga, stets bekommt er als Antwort – „die haben wir nicht, denn wir spielen 2. Liga.“ Beim vierten Anruf reagiert der HSV-Mitarbeiter genervt und fragt, was die blöde Frage soll? Der Anrufer entpuppt sich als Werder-Fan und freut sich tierisch mit den Worten: „Genau das kann ich nicht oft genug hören.“ Oh Mann!

Trotzdem: Feste feiern, wie sie fallen. Fangen wir mal in Kölle an. Fällt das den Kölnern tatsächlich leichter als andernorts? Immerhin haben sie in der Dom-Metropole bekanntlich ein eigenes Grundgesetz, das wiederum gleich in Paragraph 1 besagt: „Et es wie et es“ (Es ist, wie es ist – soll heißen: sieh‘ den Tatsachen ins Auge). Richtig! Blöd nur, dass Paragraph 3 diesmal für FC-Fans außer Kraft gesetzt wurde: „Et hätt noch emmer joot jejange“ – nee, eben nicht! Eigentlich sollte das Jahr 2018 ein ganz besonderes für die Jungs mit dem Geißbock auf der Brust werden – eigentlich…wurde aber nix.

Dennoch: Feste feiern, wie sie fallen! Das tat der FC. Trotz der schlechtesten Punktausbeute in der Vereinsgeschichte feierte der 1. Fußball-Club Köln am 13. Februar 2018 seinen 70. Geburtstag. Eine Sonderaustellung im Deutschen Sport und Olympia Museum im Kölner Rheinauhafen (bis Mitte Mai) stand unter dem Motto „Die Zeiten ändern sich, das Gefühl bleibt“ und bot einen spürbar anderen Blick auf sieben Jahrzenhte FC-Historie. Das nächste Jubiläumsdatum war der 29. April 2018. An diesem Tag jährte sich der spektakuläre Double-Gewinn der Kölner zum 40. Mal. Ein Jahrestag, den sich Autor und Filmemacher Frank Steffan ganz speziell widmete: Erst ein Buch, dann ein Film und schlussendlich ein Magazin.

Mit seinem Film „Das Double – 1977/78: Eine Zeitreise mit dem 1. FC Köln“ (DVD, 90 Minuten, 30 Minuten Bonusmaterial, 16-seitiges Booklet, Preis 19,99 Euro, Edition Steffan) schoss Steffan den Vogel ab. Beim renommierten 11mm-Fußballfimfestival in Berlin wurde sein Werk zum besten internationalen Film gewählt. Ein durchschlagender Erfolg, denn es handelte sich um einen Publikumspreis. Fazit: Angeschaut und gleichwohl begeistert wie die Juroren. 90 unterhaltsame Minuten, die schneller vergehen als der spannendste Tatort. Es ist ein außergewöhnliches Zeitdokument, das sich mit der ebenso außergewöhnlichen Zeitenwende 1977/1978 beschäftigt.

Auch wenn Autor Frank Steffan selbstverständlich den sportlichen Erfolg seines Herzensclubs in den Vordergrund stellt, so ist die Zeitreise keineswegs auf jene Bundesligasaison des FC beschränkt. Die Jahre 1977 und 1978 waren besondere Jahre. Das wird schon zu Beginn des Films dokumentiert: Steffan wählte dafür kurz aneinander geschnittene Fotografien jener Zeit aus – die Erde, Deutschland, Köln. Man möchte sagen: vom Großen ins Kleine. Köln war damals die führende europäische Kunstmetropole, spielte in einer Liga mit New York. Dank der Nähe zu Bonn war Köln die heimliche Hauptstadt, wo sich das gesellschaftliche Leben abspielte. Breiten Raum nehmen beispielsweise auch das Attentat auf Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer durch die RAF (die Ermordung geschah unweit des Mündersdorfer Stadions) und die Entführung des Flugzeugs „Landshut“ ein. Eine ganz besondere Epoche, sowohl kulturell als auch gesellschaftlich und politisch. Klug auch die Entscheidung des Filmemachers, die Musik jener Zeit („The Cöln“) als Untermalung auszuwählen und sie so zu belassen, wie sie eben damals war. Das ist aus heutiger Sicht gewöhnungsbedürftig aber trefflich passend.

Die sportlichen Zeitdokumente lassen zweifellos die Herzen von Fußball-Romantikern höher schlagen – unglaubliche Haarfrisuren bei den Profis, überaus kurze Turnhosen, kicken auf Schneeboden und matschigen Spielfeldern sowie die die Nähe zu den Fans. Vieles aus heutiger Sicht undenkbar. Natürlich kommen zahlreiche Zeitzeugen zu Wort – in erster Linie damalige Spieler wie Toni Schumacher, Bernd Cullmann, Dieter Müller, Harald Konopka, Herbert Zimmermann und Dieter Prestin. Danaben selbstverständlich auch Funktionäre wie Manager Karl-Heinz Thielen, Assistenztrainer Hannes Löhr und Mannschaftsarzt Dr. Alfons Bonnekoh, damalige Journalisten und nicht zuletzt die verstorbenen Protagonisten, Startrainer Hennes Weisweiler und sein Kapitän Heinz Flohe. „Das Double“ erzählt die Geschichte, als eben jener Gewinn von Meisterschaft und DFB-Pokal noch etwas Besonderes war und was sich durch die heutige Vorherrschaft des FC Bayern München weitgehend verändert hat.

Nach Berlin wird in Köln gefeiert: Frank Steffan (Mitte) präsentiert seine „Goldene Kamera“ beim FC-Stammtisch, daneben Moderator Ralf Friedrichs (links) und Trainer Stefan Ruthenbeck. Fotos: privat
Nach Berlin wird in Köln gefeiert: Frank Steffan (Mitte) präsentiert seine „Goldene Kamera“ beim FC-Stammtisch, daneben Moderator Ralf Friedrichs (links) und Trainer Stefan Ruthenbeck. Fotos: privat

Kurzweilig und informativ auch das zusammengestellte Bonusmaterial auf der DVD, das neben den Double-Typen (Part 1 und 2) auch interessante Interviews wie „Bosbach über Schleyer“, „The Cöln/Dirk Schlömer („Ton, Steine, Scherben), „Japaner am Geißbockheim“ und/oder „Das Fanleben damals“ liefert.

Verdienter Erfolg also für Regisseur Steffan. Für den bald 61-Jährigen war der Publikumspreis „Goldene 11“ für den Double-Film indes nicht der erste Auszeichnung. Schon sein Film über Heinz Flohe „Der mit dem Ball tanzte“ gewann beim Fußball-Filmfestival den Preis als „Beste deutsche Produktion“. Nun setzte Frank Steffan sich sogar gegen die internationale Konkurrenz durch.

„Das war echt eine tolle Geschichte“, resümierte der Filmemacher nach dem Berliner Festival, das bereits zum 15. Mal stattfand. „Ich denke, ausschlaggebend war auch und vor allem, dass wir im Film bewusst nicht die übliche kölsche Folklore bedienen. Die Reaktionen im Publikum waren fast noch überschwänglicher als bei unserer Kölner Premiere.“

Filmtrailer:

Filmausschnitt:

Zum Thema

Wie anfangs erwähnt, haben neben den FC-Anhängern vor allem die Fans vom HSV, der Eintracht aus Braunschweig oder der „Roten Teufel“ aus Lautern eine bitterböse Saison hinter sich. Aber bekanntlich kennt die Liebe zu seinem Club keine Liga. Hier noch eine kleine Zusammenstellung – aktuelle Lektüre, die die Fan-Herzen vielleicht ein bisschen weniger bluten lässt.

Betze Leaks – Der 1. FC Kaiserslautern zwischen Tradition und Possenspiel“ (ISBN 978-3-7307-0390-8, Verlag Die Werkstatt, Preis 16,90 Euro): DFB-Pokalsieger 1996, Deutscher Meister 1998, Champions-League-Teilnehmer, Kultclub mit den Ikonen der 54er Weltmeister-Elf sowie später Stars wie Briegel oder Brehme. Das alles gehört zu den „Roten Teufeln“. Und jetzt auch der Abstieg in die 3. Liga. Autor des Buches ist der Journalist Andreas Erb, der den FCK wie kaum ein anderer kennt. Sein Werk ist auf 240 Seiten die Chronik eines Niedergangs.

Alles HSV! (ISBN 978-3-73070241-3, Verlag Die Werkstatt, Preis 12,90 Euro): Es ist die zweite überarbeitete und aktualisierte Auflage mit dem unverzichtbaren Wissen rund um die „Rothosen“. Als Herausgeber liefert Harald Skrentny auf 192 Seiten ein kleines, aber feines Nachschlagewerk.

Mein Ditmar Jakobsweg“ (ISBN 978-3-7307-0180-5, Verlag die Werkstatt, Preis 14,90 Euro): Ex-Profi Ditmar Jakobs (mit Autor Volker Keidel) schildert auf 192 Seiten seine 875 Kilometer für den Hamburger Sport-Verein. Das Magazin „11Freunde“ meint dazu: „Top!“

Als Popivoda nie da war“ (ISBN 978-3-7307-0364-9, Verlag die Werkstatt, Preis 16,90 Euro): Auch die Eintracht aus Braunschweig hat zweifellos schon wesentlich bessere Zeiten erlebt – beispielsweise als Starspieler wie Danilo Popivoda noch in der Löwenstadt kickten. Das Autorenduo Horst Bläsig und Alex Leppert stellten dieses „unverzichtbare Wissen“ über den BTSV Eintracht zusammen.

Nur einmal nach Europa“ (ISBN 978-3-7307-0378-6, Verlag Die Werkstatt, Preis 24,90 Euro): Ein prächtiger Bildband, der den zugegebenermaßen kurzen Weg des 1. FC Köln durch Europa nach zuvor 25-jähriger Abstinenz dokumentiert. Der Fotograf Sebastian Bahr ist mittendrin. Er löst die Frage nach dem Kern des Fußballs aus Sicht der Fans und zeigt ihn in seinen Bildern: Emotionen! Auf 160 Seiten mit circa 165 Fotos, dazu ein Vorwort von Lukas Podolski.