Barsinghausen. Kennen Sie den noch? „Gelbe Karte, Rote Karte – raus, du Sau!“ Oder den? „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht.“ Oder vielleicht den? „Hey, du Blinder, das Weiße ist der Ball und nicht mein Knöchel.“ Verbale Entgleisungen, die in den Siebziger und Achtziger Jahren auf den Stadionrängen, aber auch auf den Sportplätzen der Region an der Tagesordnung standen. Das Positive daran: Meist war es ja gar nicht so ernst gemeint und schlussendlich haben es alle ohne weiteren Schaden überlebt. Und heute?
Von Erk Bratke
Bekanntermaßen bleibt es längst nicht mehr bei verbalen Attacken. Spielabbrüche häufen sich und erst zu Wochenbeginn war in einer hannoverschen Tageszeitung als Headline zu lesen: „Spieler schlagen Schiri klinikreif“. Ein Wahnsinn!
Leider haben Konfliktpotenzial, vor allem aber die Gewaltbereitschaft enorm zugenommen. Das ist zweifellos kein Alleinstellungsmerkmal des Fußballs – doch kommt es sehr wohl dort am häufigsten vor. Dafür gibt es sicherlich die unterschiedlichsten Gründe.
Einer könnte sein, dass wohl keine andere Sportart derart zielsicher ein Abbild der Gesellschaft zeigt. Basketball? Pah, ein Studentensport. Tennis? Ach, immer noch elitär. Leichtathletik? Mit wem soll man sich da hauen?! Rugby? Da gehört der „Innenfight“ zum Spiel. Bleibt die Frage, warum bei allen Integrations- und Inklusionsbemühungen ausgerechnet im Fußball die Auseinandersetzungen eine ganz andere Qualität als früher erreicht haben? „Wenn ich mal groß bin, schreibe ich meine Doktorarbeit darüber“, könnte man meinen.
Aber nehmen wir uns doch zweier aktueller Beispiele aus dem lokalen Sportgeschehen an, die sich in ihrer Bewertung freilich unterschiedlich darstellen – einmal Vorfälle bei einer Kreisklassenpartie der Herren und einmal Geschehnisse bei einem Jugendspiel.
Im Mai dieses Jahres kam es beim Wennigser Lokalderby der 4. Kreisklasse zwischen dem SV Degersen und der TSV-Reserve zu einem Polizeieinsatz und Verletzten. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Hannover ein „Verfahren wegen mutmaßlicher Schlägerei anlässlich eines Kreisklassenspiels“ eröffnet (Az: 322 Ds 204/14). In der Strafsache geht es gegen zwei Degerser Spieler, die längst nicht mehr für den SVD aktiv sind.
Am Rande des Fußballspiels soll ein Angeklagter in Richtung der Auswechselbank des TSV Wennigsen gelaufen sein, grundlos mit gestrecktem Bein hochgesprungen und mutwillig gegen die Brust eines dort stehenden Zuschauers getreten haben. Wenig später soll der zweite Angeklagte den Geschädigten zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der geschädigte Zuschauer soll beidseitige Schulterprellungen, eine Thorax- und eine Unterarmprellung sowie diverse Schürfwunden erlitten haben. Das Amtsgericht Hannover verhandelt wegen des Vorwurfs der Körperverletzung beziehungsweise der gefährlichen Körperverletzung. Die Verhandlung ist für 14. Januar um 9 Uhr angesetzt.
Unser zweiter Fall ist noch aktueller; er ereignete sich erst kürzlich beim TSV Barsinghausen, wo es Gott sei Dank „nur“ bei Sachbeschädigungen blieb. In der B-Jugend-Bezirksliga empfing Basche United den TSV Limmer im REWE-Sportpark. Sportlich waren die Rollen klar verteilt: Limmer, ein spielstarkes Team aus der Spitzengruppe, gebührte die Favoritenstellung; Basche United, eine eher defensivstarke Mannschaft aus dem Tabellenmittelfeld, war Außenseiter. Genau so zeigte sich auch der Spielverlauf. Schlussendlich waren drei Tore gefallen. Eher überraschend ging United mit 2:1 als Sieger vom Platz. So weit, so gut.
Beobachtet wurde eine Partie ohne nennenswerte Nickligkeiten, die komplett ohne grobe Fouls blieb. Spieler beider Teams gaben sich sogar bei Krämpfen Hilfestellung. Keine Spur von Unsportlichkeit, was auch Schiedsrichter Lars Mahler bestätigte. „Die einzige Gelbe Karte, die ich in der 2. Hälfte zeigen musste, ging an die Barsinghäuser – und dies nur, weil sich der Torschütze nach seinem Siegtreffer das Trikot auszog.“ Ein ebenso verständlicher, gleichwohl dummer Jubel – kennt man ja von den großen Vorbildern aus der Bundesliga.
Ob diese Regel Sinn macht oder nicht, sei dahin gestellt. Regeln sind halt dazu da, um sie einzuhalten. Punkt. Aber darum geht es hier auch gar nicht, sondern vielmehr um Entgleisungen von Erwachsenen bei einem Jugendspiel, die womöglich Auslöser für die spätere Sachbeschädigung gewesen sein könnten.
Bereits während des Spiels mussten Ordner der Heimmannschaft tätig werden: Auf Hinweis des Referees sollte ein Zuschauer der Gäste den Spielfeldrand verlassen. Er habe von außen Spieler beleidigt, so der Schiri. Als die Partie beendet war, zeigten sich die Gäste als schlechte Verlierer: Beschimpfungen einerseits sowie Sachbeschädigung andererseits. Im Kabinentrakt wurde eine Trennwand eingetreten und auch die Tür zur Schiedsrichterkabine geriet in Mitleidenschaft.
Der Schiedsrichter verfasste sogleich einen Sonderbericht. Der TSV B erstattete bei der Barsinghäuser Polizei Anzeige wegen Sachbeschädigung und will nun den Gastverein zur Rechenschaft ziehen.
Handgreiflichkeiten auf dem Sportplatz nehmen eindeutig zu, was auch die steigende Zahl von Spielabbrüchen in der laufenden Saison belegt. Ein Wahnsinn und unentschuldbares Verhalten. Zweifellos gehören Emotionen zum Fußball dazu. Dazu gehört seit jeher auch der ein oder andere „nette“ Spruch, doch Wut und übersteigerte Aggressivität sind in jeglicher Form fehl am Platz. Aber was tun, wenn Situationen aus dem Ruder laufen?