Barsinghausen. „Probleme löst man, indem man spricht. Und nicht, indem man aufhört zu sprechen“. Mit diesen Worten begrüßte Marita Kantelhardt im Petrus-Gemeindehaus die Gäste zum 15-jährigen Bestehen der Selbsthilfegruppe Lichtblick Barsinghausen, eine Gruppe für psychisch gesundende Menschen. Seit drei Jahren leitet Marita Kantelhardt die Selbsthilfegruppe Lichtblick, die vor 15 Jahren von Margarete Morscheck gegründet wurde. Die 83-jährige Margarete Morscheck engagiert sich seit vielen Jahren im sozialen Bereich. Dafür verlieh ihr seinerzeit Bundespräsident Joachim Gauck in Anerkennung ihrer besonderen Verdienste um das Allgemeinwohl die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Mit großem Applaus wurde Morscheck, die in Begleitung ihrer Tochter an der Feierstunde teilnahm, begrüßt.
Marita Kantelhardt zeigte auf, wofür die Selbsthilfegruppe Lichtblick steht. Sie unterstützt psychisch gesundende Menschen nach einem Klinikaufenthalt, nach einem Sterbeerlebnis, nach vergeblichem Hilfesuchen und mangelndem Verständnis im persönlichen Umfeld. „Da sind sie dann bei uns richtig. Bevor den Klienten bei den Psychotherapeuten geholfen wird, vergeht leider sehr, sehr viel Zeit. Hier in der Gruppe bringen wir unsere eigenen Erfahrungen und Erlebnisse ein, wir schildern und zeigen: Ihr seid nicht allein“, so Kantelhardt. Und weiter: „Durch unsere Workshops mit unserer Ilona haben wir so viel Eigenes an Material in die Hand bekommen, so wie Achtsamkeit, Ressourcen, Selbstwert stärken oder Progressive Muskelentspannung – dies alles können wir weitergeben“.
Trotzdem könne es immer wieder dazu kommen, dass jemand in die Klinik muss. Aber danach sei die Gruppe wieder da, um ihn aufzufangen. Frei nach dem Motto: „Keiner wird allein gelassen. Kein Mensch kann einem anderen die Last nehmen, aber er kann tragen helfen“.
Ihr seid Gold füreinander
Mit einer ebenso humoristischen wie ernsthaften Ansprache wandte sich die Hausherrin der Petrusgemeinde, Pastorin Kristin Köhler, an die Anwesenden: „Hier müssen nicht alle was sagen. Zuhören ist Gold wert. Ich durfte am Dienstag in eurer Runde sitzen. Ihr habt mir erzählt. Ihr habt einander zugehört. Was der Lichtblick euch bedeutet. Und ich durfte spüren, wer ihr mit und füreinander seid. Und ich habe gedacht: Ihr seid Gold. Ihr seid Gold füreinander, weil ihr eure Risse miteinander teilt. Und ich weiß nicht, ob euch das bewusst ist: Ihr habt Strahlkraft. Ihr seid Gold für uns alle hier, die jetzt gerade hier sind und für all die da draußen. Weil ihr euch verletzlich zeigt. Mit euch, mit jedem, jeder einzelnen von euch, mit euch als Gruppe, 21 Menschen seid ihr gerade, mit euch kommt Echtheit in die Welt und Ernsthaftigkeit. Und klar, ihr rüttelt auch auf. Mit euch wird sichtbar, wir Menschen sind voller Risse. Bruchstücke voller Narben und Verletzungen. Innen und außen“. Köhler weiter: „15 Jahre Lichtblick. Ihr miteinander heilt jetzt euren Scherben. Damit ihr nicht zerbrecht“.
Zum besonderen Jubiläumstag hatte sich die Selbsthilfegruppe Lichtblick von Kristin Köhler einen gemeinschaftlichen Segen gewünscht. Diesem Wunsch kam die Pastorin gerne nach, und sie schuf damit einen ganz besonderen, berührenden Moment: „Was ihr einander bedeutet als Gemeinschaft, das gerate nie in Vergessenheit. Was eure geheimste Sehnsucht ist, das werde euch spürbar geschenkt. Dass ihr einander bedeutet, Verbündete gleichgesinnte. Freundinnen. So werden wir Gold, so seid ihr Gold. Und so kann eure Gemeinschaft der Lichtblick zu einem Ort werden, der von Gottes Liebe erzählt. Ein Ort, an dem Gottes Liebe sichtbar und greifbar wird. Und so segne euch und alles, was ihr einander bedeutet. Alles, was ihr füreinander seid, alles, was ihr miteinander teilt, Gott, Vater, Sohn und der Heilige Geist. Gehet im Frieden“.
Die Depression aus der dunklen Ecke holen
Mit nachdenklichen, zum Teil auch sehr persönlichen Worten wandte sich Barsinghausens Bürgermeister Henning Schünhof an die Selbsthilfegruppe Lichtblick und ihre Gäste. „15 Jahre Lichtblick, 15 Jahre Umgang mit Krankheiten wie Depressionen. Was war eigentlich vor 15 Jahren? Beim Nachdenken darüber fiel mir dazu ein, dass eine ganz berühmte Persönlichkeit vor 15 Jahren das Opfer ihrer Krankheit geworden ist. Und da ist ja diese Krankheit sicherlich auch ein Stück weit aus der dunklen Ecke ins Licht der Öffentlichkeit geholt worden. Erst kürzlich gab es eine sehr lange Reportage, auch über die Enke-Stiftung mit Teresa Enke und der Genese, wie es damals dazu gekommen ist. Und ja, 15 Jahre her, es hat sich viel getan seit der Zeit, die Krankheit, die Depression und alle ihre Seitenerscheinungen und Spielarten sind aus der Dunkelheit herausgehoben worden. Man geht mittlerweile offener damit um“, so der Bürgermeister.
Schünhof erinnerte auch an einen ganz aktuellen Fall, als kürzlich der Politiker Kevin Künast alle seine Ämter niedergelegt hat. „Auch ich selbst habe mich in letzter Zeit häufiger mit diesem Thema beschäftigt“.
Manchmal gelinge es nicht, die Krankheit ohne Hilfe zu bewältigen“, stellte Schünhof fest. Und weiter: “Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eine davon ist das Gespräch in einer Gemeinschaft. Und dafür steht der Lichtblick hier mit ihrer Gruppe, wo man sich gegenseitig helfen und aufbauen kann. Ich glaube, die praktische Arbeit vor Ort, die die Selbsthilfegruppe Lichtblick macht, ist wichtig. Dafür danke ich ihnen ganz herzlich“.
Vielschichtige Therapiemöglichkeiten
„Herzlichen Glückwunsch, ihr Lichtblicker! 15 Jahre ist eine Wahnsinnszeit im Hinblick auf eine psychische Erkrankung. Diese Zeit zu tragen – ihr habt das ganz großartig, ganz wundervoll gemacht“, so begrüßte Ilona Kasse die Selbsthilfegruppe Lichtblick, die sie nun schon seit acht Jahren als Heilpraktikerin (Psychotherapie) Jahr für Jahr eng begleitet. „Den Kontakt suchte damals Margarete zu jemandem, der Informationen in die Gruppe weitertransportieren und weiterhelfen kann. Als ich das erste Mal in die Gruppe kam, waren außer Margarete noch drei weitere Teilnehmer da. Und als ich das letzte Mal zählte, bei einem gar nicht so einfachen Thema, nämlich Trauer, waren wir 16, die sich dort herangewagt haben. Und jetzt höre ich, insgesamt sind es schon 21. Das ist großartig“.
„Die Depression ist so vielschichtig, das haben wir schon herausgearbeitet, aber ebenso vielschichtig sind auch die Therapiemöglichkeiten. Und eine Therapiemöglichkeit, ein Ansatzpunkt, ist es, sich mehr Wissen über die Erkrankung anzueignen. Und das tun wir hier mit unseren Workshops, wir streben nach mehr Wissen. Vor acht Jahren haben wir mit dem Workshop Mehr Wissen über Depressionen angefangen. Viele andere folgten. Und in dem Workshop Depressionen haben wir festgestellt: Die Depression kann ansteckend sein. Ja, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Freunde, für Bekannte, Verwandte, für die Familie ist es ein große Herausforderung, die Erkrankung mitzutragen“, rief Ilona Kasse in Erinnerung. Es folgten weitere Themen in den Workshops wie „Ängste, Phobien und Co.“, „Trotzdem selbstbewusst“, „Ressourcen und Resilienz“, „Achtsamkeit“, „Progressive Muskelentspannung“ und natürlich „Kommunikation“.
In den beiden letzten Workshops befassten sich die Teilnehmer mit dem Thema „Begegnungen mit mir selbst“. Dazu Ilona Kasse: „Das war sehr spannend. Zum Beispiel beim Waldbaden sind wir tief in die Schichten unseres Bewusstseins eingetreten. Das Gedankenkarussell konnten wir in der Kreativstunde stoppen und mit dem Familien-Genogramm sind wir unseren Ahnen begegnet. Nicht ganz einfach war das Thema Trauer. In diesem Workshop durften wir das Lebenshaus Aufgefangen e.V. hier in Barsinghausen kennenlernen.“
„Wir sind unserer Erkrankung nicht hilflos ausgeliefert“
„Bei allen unterschiedlichen Themen sind wir auf drei Aspekte immer wieder gekommen. Dass ist die richtige Entspannung wesentlich ist, die Gedanken eine große Rolle spielen und dass die richtige Kommunikation Wunder bewirken kann. Die wichtigste Erkenntnis aber ist: Wir sind unserer Erkrankung nicht hilflos ausgeliefert. Jeder kann selbst aktiv werden. Und bei allen Unterstützungen von Ärzten und Therapeuten kann ich sagen, wir können uns vor allem selbst helfen und entsprechend dadurch die Sichtweisen ändern und unser Wissen erweitern. In der Gruppe könnt ihr voneinander lernen, euch unterstützen und ihr könnt euch aufeinander verlassen. Vielen Dank, dass ich an diesem, an eurem Prozess, teilnehmen darf“, so das Fazit von Ilona Kasse. „Und wenn ihr Lust habt, im nächsten Jahr, dann schenken wir unserem Leben noch mehr Rockn
Roll“, machte sie schon mal neugierig auf den für 2025 geplanten Workshop. Als Geschenk an die Selbsthilfegruppe Lichtblick überreichte sie einen großen Karton mit druckfrischen Heftchen zum 15-jährigen Bestehen der Gruppe, erstellt und gesponsort von der Firma foto:kasse aus Barsinghausen. Der Inhalt dieses Heftchens ist das kreative Ergebnis der Workshop-Teilnehmer.
Das war aber nicht die einzige Unterstützung, die die Selbsthilfegruppe Lichtblick zum Jubiläum erfuhr. Der Sohn eines Mitglieds der Gruppe hat Visitenkarten und Flyer entworfen und der Gruppe spendiert, und ein neues Logo gibt es auch, wie Marita Kantelhardt berichtete. Sie richtete zudem Dankesworte unter anderem an die AOK Niedersachsen, die Kibis Hannover, die Ragge-Grocholesky-Stiftung Barsinghausen, die Stadtsparkasse Barsinghausen, die Firma Caspar & Dase und die Jugendwerkstatt Roter Faden Empelde, die das Buffet zur Jubiläumsfeier lieferte. Ein besonderer Dank erging zudem an die Petrusgemeinde Barsinghausen, die der Selbsthilfegruppe Lichtblick einen geschützten Ort für ihre Arbeit bietet.
Zum Abschluss gab es von den Mitgliedern der Selbsthilfegruppe Lichtblick auch ein großes Dankeschön und Blumen für Marita Kantelhardt und ihre Stellvertreterin Steffi Henne.
Kontakt
Interessierte können sich bei Marita Kantelhardt (0172/1810915), Stefanie Henne (0160/97336886) oder Hiltrud Bergherr (0155/61812420) melden. Betroffenen- und Angehörigengespräche finden dienstags von 18 bis 20:30 Uhr im Familienzentrum der Petrusgemeinde, Langenäcker 40 (Eingang Hans-Böckler-Straße) statt