
Barsinghausen/Köln. Fangen wir die Geschichte doch mal so an: Lange bevor heutige Superstars wie Ronaldo, Messi, Neymar oder Özil ihre Übersteiger oder andere technische Kabinettstückchen praktizierten, gab es auch hierzulande einen Spieler, der die kreativen Abläufe in Deutschlands Fußball revolutionierte. „Kaiser Franz“ urteilte: „Er gehörte zu den besten Technikern der Welt“. Die Rede ist von Heinz „Flocke“ Flohe.
Von Erk Bratke
Heinz Flohe – ein Pionier in Sachen Spielkunst und Spielkultur, aber auch ein tragischer Held mit einem schlussendlich unfassbaren Leidensweg. Zweifellos war „Flocke“ als Mensch meist an den richtigen Orten, als Profifußballer allerdings oft zur falschen Zeit am falschen Ort. Geboren am 28. Januar 1948 (im Gründungsjahr „seines“ 1. FC Köln), unweit vom Geißbockheim – verstorben nach einem dreijährigen Wachkoma (hervorgerufen durch einen Gehirnschlag im Mai 2010) am 15. Juni 2013 mit nur 65 Jahren.

Jenseits des Rheinlandes wird „Flocke“ oft vergessen, wenn die wirklich Großen des deutschen Fußballs aufgezählt werden. Zu Unrecht – und genau das zeigt der jetzt veröffentlichte Film über das Leben und Wirken von Heinz Flohe. Für Frank Steffan, glühender Fan sowie Chef des Kölner Verlages „edition steffan“ war die Produktion eine absolute Herzensangelegenheit.
Entstanden ist eine kurzweilige, bewegende Dokumentation über einen außergewöhnlichen Menschen und sein Leben zwischen Triumph und Tragik. Die DVD heißt „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“; Spieldauer 104 Minuten, inklusive 16-seitiges Booklet. Infos unter www.heinz-flohe.de und www.facebook.com/flockefilm. Die Erstauflage von rund 3000 Exemplare ist bereits vergriffen, eine zweite bereits im Anmarsch.
„An dem Filmtitel hätte Flocke seinen Spaß gehabt“, sagen langjährige Freunde. Sie kannten „den Hein“ nicht nur als Boxfan, sondern auch als Liebhaber der Indianer und ihrer Kultur. Er liebte den Film „Der mit dem Wolf tanzte“. Einige „best friends“ erzählen aus Kinder- und Jugendtagen in Euskirchen, von Treffen im Kölner Milieu, aus der erfolgreichen Fußballerzeit wie auch danach. Sie sprechen von einem Gerechtigkeitsfanatiker, von einem eher introvertierten, geerdeten Superstar.

Seine Berufskollegen der damaligen Zeit sahen in ihm „den kompletten Spieler“. Entdeckt wurde er von Franz Kremer, Präsident des 1. FC Köln und Wegbereiter der Fußball-Bundesliga. Dem ersten Titel 1968 (DFB-Pokal) folgten zwei weitere Cupgewinne sowie das Double mit dem FC 1977/78. Flohe nahm an zwei Weltmeisterschaften teil (1974 wurde er Weltmeister; 1978 musste er verletzt abreisen); 1976 wurde er Vize-Europameister (39 A-Länderspiele, 343 Bundesligaeinsätze).
„Er hat zur falschen Zeit gelebt. In der heutigen Zeit würde dieses natürlich weit mehr honoriert werden“, behauptet Günter Netzer in dem Kapitel „Wenn Flocke heute spielen würde“ und spricht damit das Spielvermögen an. Netzer: „Es hat bei uns in Deutschland keinen gegeben, der die technischen Fähigkeiten gehabt hat. Ich hab‘ ihn als Brasilianer bezeichnet.“ Sein langjähriger Teamkollege Jupp Kapellmann fügt an: „Keine Frage, der Flocke würde heute die 100 Millionen-Grenze sprengen.“
Beim 1. FC Köln hatte er in Wolfgang Overath (den er später als Kapitän ablöste) seinen kongenialen Partner. Der Alt-Internationale sagt über Flohe: „Er brauchte kein System. Er hätte in jeder Mannschaft in Europa oder auf der Welt seinen Platz gefunden, weil er einfach dieses Vermögen hatte. Der Ball war sein Freund – und das können nicht immer allzu viele sagen.“ Auch sein Freund Jupp Heynckes bringt es auf den Punkt: „Er hat Dinge gemacht, die keiner von uns konnte. Er war ein Artist.“ Heutige Protagonisten wie DFB-Chef Wolfgang Niersbach oder FC-Ikone Lukas Podolski erinnern sich ebenfalls an Anekdoten mit „Flocke“.

Zahlreiche Kölner Double-Gewinner wie Löhr, Konopka, Engels und Cullmann sowie Manager Thielen resümieren einen schwerwiegenden Fehler ihrer Vereinsführung: Nach einer Roten Karte wurde Flohe suspendiert, was später in dem Transfer zum TSV 1860 München gipfelte. Ein schwerer Abschied aus der Heimat mit einem schrecklichen Ende. Am 1. Dezember 1979 erlitt „Flocke“ die Verletzung, die sein Leben verändern sollte. Im Bundesligaspiel 1860 gegen MSV Duisburg foulte ihn Paul Steiner brutalst. Unterschenkelbruch hört sich noch gelinde an; eigentlich war ihm das Bein abgetreten worden. Seine Mitspieler weinten am Krankenbett. Manager Schmitz dazu: „Ein Vorbote des Todes.“
Was folgte waren chronische Schmerzen, Cortison, Morphium, Karriereende – ein Leidensweg, der Herzprobleme nach sich zog. Noch einmal kehrte „Flocke“ nach Köln zurück. Auf die Trainerbank, wo er eine erste Herzattacke erlitt. Heinz Flohe hatte sich bereits vom Fußball zurückgezogen, als er nach einem Gehirnschlag zusammenbrach und ins Koma fiel.

Das dem Film angehängte Bonusmaterial hält höchst persönliche O-Töne parat. Verständlich, dass der 1. FC Köln seine neu aufgebaute Fußballschule nach Heinz Flohe benannt hat. Ein verdientes Andenken. Und ein großes Filmende mit den Worten: „Heinz Flohe lebt in den Spielern weiter, die durch sein geniales Spiel direkt oder indirekt inspiriert wurden. Er war ein Großer!“ – dazu werden passende Spielerköpfe gezeigt, die von Littbarski und Häßler über Scholl bis hin zu Özil und Götze reichen. Bewegend!
Bei der Premiere der Film-Biografie im März 2015 vor über 270 Zuschauern beim „11Minimeter“-Festival in Berlin gab es Standing Ovations. „Da kommen die Zeiten zurück“, sagte Weggefährte Toni Schumacher sichtlich bewegt – stellvertretend für alle. „Ein toller Film, den sich viele Leute anschauen sollen“, urteilte der heutige Vize-Präsident des FC. „Die Reaktionen sind noch doller, als ich es mir erhofft hatte“, sagte Frank Steffan stolz.
Auch Flohes Sohn Nino war bewegt. „Ich bin rundum zufrieden. Ein sehr authentischer und ehrlicher Film. So wie der Heinz auch war. Ich hab’ den Film jetzt zum dritten Mal gesehen. Er flasht mich jedes Mal. Standing Ovations am Ende, die ganzen Reaktionen während des Films – wir hatten Gänsehaut.“ (Zitat „Kölner Express“).

Zum Thema
Hätte der folgende Text am Anfang des Artikels gestanden – hm, so wären möglicherweise einige Leser allzu frühzeitig „ausgestiegen“. Langweilig? Mag sein, doch auch dies ist eine Herzensangelegenheit – ein paar persönliche Worte…
Es war in Goltern. Aschenplatz des TSV am Ohweg, Training der B-Jugend oder A-Junioren. Wer weiß das noch genau? Ein eingeschworener Haufen, der da kickte. Auch dort wurde des öfteren der Name „Flocke“ gerufen. Den Spitznamen hatten mir meine Mitspieler verpasst – nein, nicht deshalb, weil ich Heinz Flohe und seinem spielerischen Vermögen ähnelte (nicht mal annähernd). Grund dafür war vielmehr, weil ich ununterbrochen von ihm und dem 1. FC Köln faselte und Flocke zu meinem großen Idol erkoren hatte.
An meiner Sporttasche baumelte seinerzeit ein Namensschild, so wie es bei Koffern üblich ist. Aufschrift: „Flocke“ – was sonst?! Selbstverständlich war ich in den folgenden Jahren stets darauf bedacht, Flohes Rückennummer „8“ zu ergattern – ganz gleich in welchem Verein, in welcher Mannschaft oder Altersklasse. Hat geklappt, meistens jedenfalls. Neben dem Fußballplatz machte auch die Sammelleidenschaft rund ums Idol Fortschritte. Ganzer Stolz dabei: Der lebensgroße Flohe-Starschnitt aus dem „kicker“, der nach wie vor die Wand in den heimischen vier Wänden ziert.
Manchmal lässt sich im engeren Freundeskreis dazu herrlich fachsimpeln – über alte Fußballzeiten, als es weder Bezahlfernsehen und „Scheich-Vereine“ oder Weltmeisterschaften in der Wüste gab. Einzigartige Spieler gab’s freilich schon immer, so wie Heinz „Flocke“ Flohe. Genau das dokumentiert der Film „Der mit dem Ball tanzte“ und definiert seine Wertigkeit für den deutschen Fußball neu.