Großartig: Zam Helgas lyrisches Meisterstück

Zam Helga meldet sich zurück. Kenner und Fans reihen den Frontmann der legendären Band „Helga Pictures“ in die Reihe deutscher Kultsänger, Gitarristen und Songwriter ein. Leider rückt sein gerade veröffentlichtes Studioalbum „Monster“ nur eine Woche nach der Veröffentlichung in den Hintergrund, denn am 27. März verstarb völlig unerwartet Zams Ehefrau und Mitmusikantin Tine Raetzer.

Von Erk Bratke

Zam-Helga---CoverZam Helga / „Monster“ (GIM Records / Soulfood): Elf neue Songs bei einer Spieldauer von gut 68 Minuten. Zam ist Komponist, Geschichtenschreiber, Produzent, Toningenieur, Spieler unzähliger Instrumente und schlussendlich Besitzer dieser wunderbaren, unverwechselbaren Stimme.

„Monster“ sei das Zeugnis einer Heilung nach Trauer, der Befreiung von falschen Zielbildern und das Wiederfinden des richtigen Pfades. Das Album mache uns Mut, durch unsere dunklen Stunden zu gehen und wecke die Freude an den hellen Tagen – der Label-Text erfährt nach dem Tod seiner Angetrauten urplötzlich eine neue Bedeutung.

Eigenen Worten nach geht Zam Helga mit diesem Album über Grenzen. Poetische Themen, die selten Platz im öffentlichen Raum finden, finden ein Zuhause. Es gehe vor allem um die Mitte eines Menschenlebens mit seinen unweigerlichen Schattenseiten: Verlust von geliebten Menschen, Verlust der Zuversicht in den eigenen Glauben und den bisherigen Lebensweg, Verlust der Identifizierung mit sich selbst. Aber kein Schatten ohne Licht, denn Zam erzählt auch von selbsterlebter Hoffnung und Wendungen.

Die musikalische Umsetzung reicht von eher zarten Saitenklängen bis hin zu orkanartigen Orchersterstürmen. Haben Minnesänger („Bin ein König“, „An deiner dunklen Wand“, „Krieg und Frieden“) so gesungen? Oder Indianer („Nathalie“, „Sommerwind“) in ihren Chören? Liedermacher-Mucke? Weltmusik? Eine Stil-Schublade – nö, die gibt es nicht. Zweifellos ist es ein lyrisches Meisterwerk voller Emotionalität.

Rückblick: Zam Helga, 1968 geboren, blickt auf ein turbulentes Leben und eine aufregende Karriere zurück. 1990 gründete er die Rock-Band Helga Pictures, nahm mit ihr zwei LPs auf und lebte zeitweise in Los Angeles. Die Pictures tourten mit New Model Army, Willy De Ville, Bob Geldof und vielen mehr, spielten im WDR-Rockpalast. Ab 1994 brachte er zwei Solo-Alben heraus,
tourte mit seiner Band Friends of Zulu und stand für etliche MTV- und VIVA-Clips vor der Kamera, wofür er auch 1996 zum VIVA-Musikpreis Komet nominiert wurde.

2000 schaffte er es mit seiner Band Rauhfaser und der Single „Die Schöne und das Biest“ in die Top Ten, das Video mit Hollywood-Legende Udo Kier ging um die Welt. 2005 besann er sich auf seine Akustik-Wurzeln und steht seitdem vornehmlich allein auf der Bühne – pur mit Gitarre, Gesang und Bassdrum. Er ist Vollblut-Performer und engagierter Songpoet. Ein weitgehender Alleingang, der so nur wenige Gastmusiker zulässt, darunter Tochter und Sängerin Ella Estrella Tischa und Flo König, der unter anderem bei der Rap-Ikone CRO Schlagzeug spielt.

Hörproben:
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Nachruf zum Tod von Tine Raetzer

Von Joe Bauer (Autor / Kolumnist)

NachrufTine-RaetzerDas Café Stella, Mitte der Achtziger an der Hauptstätter Straße gegründet, symbolisiert für viele Stadtmenschen heute noch den späten Aufbruch in eine Stuttgarter Kultur, die man Szene nannte. Das hatte mit Pop, mit ein wenig Kunst und urbaner Buntheit zu tun. Beim Betreten des Cafés hielten Jahre später viele Gäste immer erst Ausschau nach der Frau mit den blonden Zöpfen. Ihr fröhlicher, gewitzter Gruß rettete ihnen den Tag. Suchende Blicke nach ihr werden noch lange durchs Lokal wandern, auch bei Leuten, die von ihrem Tod schon erfahren haben. Am Morgen des 27.03.2015, drei Tage nach einem schweren Herzinfarkt, ist Tina Raetzer im Krankenhaus von Winnenden gestorben. Sie wurde 46 Jahre alt.

Tine war die Ehefrau des Musikers Zam Helga, Mutter der heutigen Sängerin/ Songschreiberin und Filmstudentin Ella Estrella Tischa, und sie war die Seele des Cafés. Sie arbeitete als Modedesignerin, als Musikerin, zwischendurch auch mal als Schauspielerin in der Rampe. Sie war die Frau für alle Fälle.

Zam Helga, Ella und unsereins treffen uns seit Jahren regelmäßig zu kleinen Veranstaltungen. Wenn die Zeit vor der Show etwas knapp wurde und Zam noch nicht da war, schaute ich weniger auf die Tür nach Zam. Ich hoffte auf Tine. Sobald die Zöpfe auftauchten, war alles gut. Tine war, um es mit einer berühmten Songzeile zu sagen: „The Leader Of The Pack“, Häuptling des Klans, die Mutter Courage der Familie.

Am 24. September 1968 in Dresden geboren, kam sie nach einem Ausreiseantrag mit ihrer Familie als Zwölfjährige aus der DDR nach Stuttgart. Realschule, danach Ausbildung zur Modedesignerin. Und immer war Musik im Spiel. Ihre Mutter Jenny arbeitete bei der Stuttgarter Plattenfirma Intercord. Tine wurde Fan von New Wave, liebte schnelle Rhythmen und Depeche Mode. Und da gab es in der Stadt einen jungen Wave-Musiker, den Sänger und Gitarristen Zam Helga mit seiner Band Helga Pictures. Diese Jungs waren Anfang der Neunziger sensationell erfolgreich – und Tine und Zam bald ein Paar.

1991 heirateten sie, 1994 kam ihre Tochter Ella zur Welt. Als die Helga Pictures wenig später Geschichte waren, weil Zam genug hatte vom Rummel, musizierte Tine als Gitarristin und Bassistin mit ihrem Mann in Bands wie Friends of Zulu und Rauhfaser. Immer machten sie zusammen ihr Ding, bauten sich in Plüderhausen von 2007 an ein kleines Kreativreich mit Musik- und Fotostudio und Gitarrenschule auf. Zuletzt hat Tine viel Arbeit in Zams neues Solo-Album („Monster“) gesteckt.

Am Samstag, 11. April, wollten sie es in der Rosenau/Stuttgart präsentieren. Zam und seine Freunde haben entschieden, die Veranstaltung nicht abzusagen: Für alle Gäste gibt es (bei freiem Eintritt) einen Abend mit Live-Musik in Erinnerung an Tine. Vor Beginn werde ich wie gehabt nervös auf die Tür starren und innerlich ein wenig fluchen, weil die blonden Zöpfe nicht auftauchen.

Tine
Tine Raetzer. Foto: Sigi Hänger

 

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