Rodewald. Wie das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz am vergangenen Freitag mitteilte, ist die bis Ende Juni befristete artenschutzrechtliche Genehmigung zur Entnahme des Wolfsrüden GW717m bis zum 31.07.2019 verlängert und das Verfahren zur Entnahme wird weiter unter Hochdruck vorangetrieben.
Die Gefahr weiterer Risse von geschützten Nutztieren und der Weitergabe problematischer Jagdtechniken besteht unverändert fort.
Warum das Ministerium eine Ausnahmegenehmigung zum Abschuss des Problemwolfes erwirkt hat
Die geplante Tötung des Wolfs GW717m des Rodewalder Rudels hat zu zahlreichen Fragen an das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz geführt.
Der Wolf des Rodewalder Rudels hat nachweislich wiederholt Rinder gerissen, die durch den Herdenverband als ausreichend geschützt galten. Deswegen hatte Minister Olaf Lies die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Entnahme des Rüden auf den Weg gebracht und abgezeichnet.
Die Ausnahme ist zur Abwendung von Schäden in der Weidewirtschaft erforderlich, so das Ministerium. Das Verhalten des Rüden war seit Wochen intensiv beobachtet worden und die Entscheidung wurde – nach einer intensiven juristischen Prüfung der Sachlage – mit großer Sorgfalt getroffen.
Eine Abwägung der Alternativen hat gezeigt, dass eine rechtzeitige Tötung des Rüden notwendig ist. Die größte Herausforderung beim Artenschutz für den Wolf besteht darin, die Akzeptanz in der Bevölkerung auch auf dem Lande auf Dauer zu sichern. Das bedeutet unter Umständen auch, einzelne Tiere mit problematischem Verhalten töten zu müssen, bevor sie ihren Nachkommen beibringen, wie Rinder gerissen oder wolfsabweisende Zäune übersprungen werden.
Warum ist der Wolf ein sogenannter Problemwolf?
Laut Ministerium beschreibt das Wort „Problemwolf“ keine fachliche Kategorie, sondern einen Wolf, der sich auf eine Weise verhält, die in unserer Kulturlandschaft als problematisch wahrgenommen wird.
Im Zusammenhang mit der Weidetierhaltung ist ein Wolf problematisch, wenn er gelernt hat Tiere zu reißen, die als ausreichend geschützt gelten – beispielsweise durch wolfsabweisende Zäune oder bei Großtieren durch den Herdenverband. Dann kann ein Antrag auf Tötung des Wolfes auf der Grundlage einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in Frage kommen.
Wölfe, die durch Risse von Rindern im Herdenverband auffällig werden, sind in Niedersachsen jedoch sehr selten.
Der Rüde GW717m des Rodenwalder Rudels hat nachweislich zweimal Rinder gerissen, die durch den Herdenverband als ausreichend geschützt galten. In weiteren zwei Fällen im Territorium des Rodewaldrudels, bei denen ein Wolf als Verursacher nachgewiesen wurde, aber eine Individualisierung nicht möglich war, gilt GW717m als wahrscheinlicher Verursacher.
Insgesamt war der Rüde nachweislich für die Tötung von ca. 40 Nutztieren verantwortlich. Dabei handelte es sich überwiegend um Schafe, die teilweise wolfsabweisend eingezäunt waren. Betroffen waren aber auch Rinder, Ponys sowie ein Alpaka. Hinzu kam eine Reihe verletzter Weidetiere.
Wölfe sind sehr soziale Tiere, bei denen viele Verhaltensweisen ähnlich wie beim Menschen nicht angeboren sind, sondern erlernt werden. Bei Problemwölfen besteht daher die Gefahr, dass sie ihr erlerntes Verhalten an andere Wölfe in einem potentiellen Rudel wie z. B. an ihre Nachkommen weitergeben.
Warum darf der Wolf zum Abschuss freigegeben werden?
Vor einer Genehmigung des Abschusses von GW717m wurden alle Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG intensiv geprüft. Diese Prüfungen haben ergeben, dass die Voraussetzungen für die Ausnahmegenehmigung in diesem konkreten Einzelfall erfüllt sind und die Entnahme zur Abwendung von Schäden in der Weidewirtschaft erforderlich ist.
Der drohende erhebliche Schaden ergibt sich nicht nur aus den bisherigen Rissaktivitäten des Rüden selbst, sondern insbesondere aus deren Fortsetzung und Verbreitung durch absehbare Lerneffekte bei anderen Rudelmitgliedern. Entsprechende Erfahrungen zeigen, dass Elterntiere das Überwinden von Herdenschutzmaßnahmen an ihre Nachkommen weitergeben.
Im Rahmen einer Prüfung zumutbarer Alternativen wurden denkbare mildere Mittel betrachtet. Diese Prüfung hat ergeben, dass es keine praktikablen Alternativen zur Entnahme des Rüden GW717m gibt. Insbesondere wäre eine Gehegehaltung keine Option, da die Überführung von in Freiheit aufgewachsenen erwachsenen Wölfen in die Gefangenschaft diese tierschutzrechtswidrig leiden ließe.
Warum ist die Tötung des Wolfes artenschutzrechtlich geboten?
Eine Weitergabe von Jagderfahrungen, welche die Überwindung von Herdenschutzmaßnahmen ermöglichen, gefährdet indirekt die angelernten Rudelmitglieder, da eine Fehlhabituierung auch deren Tötung erforderlich machen könnte. Um dies zu verhindern, ist in Fällen wie von GW717m möglichst schnell zu handeln, um weitere Ausnahmen vom Artenschutz zu vermeiden.
Warum ist der bedingungslose Schutz jedes einzelnen Problemwolfs schlecht für die Wölfe?
Für das Überleben großer Beutegreifer in Kulturlandschaften ist die Akzeptanz insbesondere der betroffenen ländlichen Bevölkerung das entscheidende Kriterium. Die Erfahrungen weltweit zeigen, dass Wölfe nur dort auf Dauer leben können, wo Menschen dies zulassen.
Der Staat darf nicht hinnehmen, dass es zu illegalen Abschüssen kommt, weil von den gesetzlichen Ausnahmen kein Gebrauch gemacht wird und sich Menschen mit ihren Problemen allein gelassen sehen. Das wäre für den Artenschutz weit schädlicher, als die rechtzeitige Entnahme eines Problemindividuums.
Eine solche ist als Ausnahmefall definiert und darf auf keinen Fall den Erhaltungszustand verschlechtern.
Ist die Entnahmeentscheidung der Anfang einer erneuten Ausrottung des Wolfes in Deutschland?
Befürchtungen, eine Ausrottung der Wölfe sei Ziel von verantwortlichen Politikern, entbehren jeglicher Grundlage. Der Wolf als Art ist nach EU-Recht streng geschützt.
Dies ist Ausdruck des Willens der Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands. In der frühen Phase der Wiederbesiedlung war jedes einzelne Exemplar genetisch wichtig und für den Erhalt der Population bedeutsam.
In der derzeitigen Phase ist der Verlust eines Einzeltieres (z.B. durch Tötung) für die Populationsentwicklung unschädlich, aber ggf. förderlich für die Koexistenz mit Mensch und Weidetierhaltung.
Warum spielt das zur Abwehr eines erheblichen wirtschaftlichen Schadens keine Rolle?
Der Schaden in der Weidewirtschaft bezieht sich auf das tatsächlich gerissene oder verletzte Tier. Eine freiwillige Zahlung durch den Staat zur Akzeptanzerhöhung für den Wolf kann die wirtschaftlichen Folgen des Schadens mildern, macht jedoch den Schaden selbst nicht ungeschehen.
Mit der Erteilung der Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sollen (sonst) künftig erwartbare landwirtschaftliche Schäden abgewendet werden. Die Weidetierhalter bekommen für jeden Riss eine Billigkeitsleistung.
Warum müssen Rinder oder Pferde nicht durch einen wolfsabweisenden Zaun geschützt werden?
Bei größeren Pferden und Rindern gilt die Herde als Schutz. Die Herde muss dafür jedoch eine ausreichende Zahl an erwachsenen Tieren enthalten. Eine Gruppe mit erwachsenen Tieren (also etwa ab zwei Jahren) gilt als wehrhaft gegenüber dem Wolf. Aus diesem Grunde gibt es verhältnismäßig wenige erfolgreiche Wolfsangriffe auf Rinder oder Pferde.
Wie waren die gerissenen Rinder geschützt und warum wurden nicht weitere Herdenschutzmaßnahmen als zumutbar bewertet?
Wenn Kälber oder Färsen ohne erwachsene Rinder gehalten werden, kann von einem Selbstschutz nicht ausgegangen werden. Eine angepasste Haltungsform – beispielsweise durch Zäunung oder Vergemeinschaftung mit erwachsenen Rindern – wird als zumutbar betrachtet. Die Rinder, die von dem Rüden GW717m gerissen wurden und als Grundlage für die Ausnahmegenehmigung herangezogen wurden, waren im Herdenverband geschützt.
Warum wurde der Wolf nicht vergrämt oder besendert, bevor man sich entschlossen hat ihn zu töten?
Eine Vergrämung funktioniert als negativer Reiz, der nahezu zeitgleich mit dem unerwünschten Verhalten zusammentrifft. Um einen solchen Reiz beispielsweise mit Gummigeschossen zu setzen, müsste man den Ort und die Zeit einer Überwindung von Herdenschutzmaßnahmen vorhersehen können.
Vergrämung ist daher nur bei unerwünschten Verhaltensweisen wie Annäherung an Menschen möglich, da diese sofort reagieren können.
Eine Besenderung kann das Auffinden und Individualisieren von Wölfen vor eine Entnahme beschleunigen. Sie wäre nicht geeignet, Schäden zu verhindern.
Kann der Wolf nicht gefangen und in ein anderes Gebiet oder geeignetes Gehege gebracht werden?
Da Wölfe sehr mobil sind und weite Strecken in kurzer Zeit zurücklegen können, besteht die Gefahr, dass GW717m sich erneut in besiedeltes Gebiet begibt und hier in Begleitung eines Rudels erneut Nutztiere reißt.
Womöglich würde er aber auch aus großer Distanz einfach wieder „nach Hause“ laufen. Die dauerhafte Unterbringung eines Wolfes in einem Gehege würde ebenso wie eine Tötung eine Entnahme aus der Natur bedeuten.
Die bisherigen Erfahrungen mit in Freiheit geborenen Wölfen, die in Gefangenschaft gehalten werden, legen den Schluss nahe, dass für diese Tiere aus Tierschutzgründen nur die Tötung eine vertretbare Form der Entnahme ist.
Warum werden die Tiere der Weidetierhalter nicht einfach besser geschützt?
Die Halter von Weidetieren werden durch die Wiederbesiedlung durch den Wolf vor große Herausforderungen gestellt. Der wolfsabweisende Schutz von Schafen, Ziegen und Gatterwild wird zwar durch das Land Niedersachsen gefördert, ist jedoch im Einzelfall ggf. schwierig umzusetzen.
Insbesondere Hobbytierhalter, die mit ihren Tieren kein Geld verdienen, können nicht immer problemlos und unverzüglich einen elektrifizierten Zaun mit Untergrabeschutz realisieren, wenn es in ihrer Region zu Rissen kommt.
Wie stellt man sicher, nicht den falschen Wolf zu töten?
Der Rüde hat geschlechts- und altersentsprechend Merkmale, die ihn von den anderen Rudelmitgliedern unterscheiden.
Wie hoch ist die Gefahr, dass nach einer Entnahme des Leitrüden des Rodewalder Rudels durch die Veränderung der Rudelstruktur die Nutztierschäden ansteigen?
Es liegen keinerlei Belege für die Theorie vor, dass Risse großer Nutztiere durch den Tod eines einzelnen Elterntieres ansteigen. Andernfalls würde bei im Verkehr umgekommenen Elterntieren eine Zunahme von derartigen Rissen durch deren Rudel zu verzeichnen sein. Dies ist nicht der Fall.
Tatsächlich deutet die Studienlage auf das Gegenteil hin und es ist für den Fall der rechtzeitigen individualisierten Entnahme eines Individuums wie GW717m von einem deutlich reduzierten Risiko künftiger Nutztierschäden in dem betreffenden Gebiet auszugehen.
Warum wird die Ausnahmegenehmigung verlängert, obwohl das Rudel wieder Welpen haben könnte?
Die Gefahr weiterer Risse von geschützten Nutztieren und der Weitergabe problematischer Jagdtechniken erhöht sich, je mehr Welpen letztlich angelernt werden können. Eine erfolgreiche Aufzucht der Jungen durch die Mitglieder des Rudels hängt nicht allein von GW717m ab.
Auch Geschwister aus dem Vorjahr übernehmen dabei wichtige Aufgaben. Bei der sehr hohen Wilddichte aktuell und dem entsprechend großen Angebot an leicht zu erbeutendem Jungwild dürfte sich in der Phase der Jungenaufzucht auch bei einem Verlust des Vatertieres kein Problem darstellen.
Wie lange ist die Abschussgenehmigung verlängerbar? Warum wird die Genehmigung immer nur für einen Monat verlängert?
Beim Auslaufen einer Frist wird immer wieder neu geprüft, ob die Voraussetzungen und die Notwendigkeit einer Entnahme des Wolfes nach wie vor gegeben sind. Weil sich Gegebenheiten verändern können und der Wolf ein streng geschütztes Tier ist, setzt man die Frist von einem Monat.
Warum wurde der Wolf noch nicht getötet?
Das Vorhaben ist aufgrund der Größe des Gebiets (von bis zu 600 km2), in dem sich der gesuchte Wolf aufhält, nicht leicht. Wir möchten bei der Entnahme die größtmögliche Gewissheit haben, das richtige Tier zu entnehmen und gehen entsprechend vorsichtig vor.